die form der landschaft ist ein zeugnis unserer kultur (1993/1995)
"die art und weise, wie die gegenstände im sachverhalt zusammenhängen, ist die struktur des sachverhaltes. die form ist die möglichkeit der struktur"
landschaft ist eigentlich alles um uns herum: stadtlandschaft, kulturlandschaft, naturlandschaft.
naturlandschaften gibt es kaum noch, alles ist vom menschen, von uns kultiviert, genommen.
ich kann mir unter "natürlicher vorstellung" nichts besseres vorstellen als eben natur!
wie prächtig sind vergessene oder verwahrloste grundstücke in den städten: dort beginnt die natur sich wieder zu entwickeln. beifuß, disteln, brennesseln, winden, brombeere. dann kleine bäume, wie birken, grauweiden, robinien, in den letzten jahren auch buddleja. solche städtische vegetation ist keine ursprüngliche natur im historischen sinn, sondern aktuelle natur, die sich nach den vorgegebenen möglichkeiten entwickelt.
parkanlagen sind keine natur. parks sind kultur, und als erfahrungsräume sind sie in der regel (aber nicht immer) im vergleich zu der natur, wie sie an diesen orten vorkommen kann oder sich hier früher befand, verarmt. der park als kulturell verarmte natur.
der botanische garten dagegen ist kunst: mit bewußtsein zusammengetragene elemente der natur (pflanzen, bäume), die sehr artenreich und damit erfahrungsreich sind, aber doch eindeutig kultur, denn ohne menschliche pflege kann sich der botanische garten nicht erhalten.
landschaft ist mehr, als wir mit sprache beschreiben können.
die landschaft, die kulturlandschaft, ist vielleicht der deutlichste und konkreteste ausdruck unserer kultur und ihrer geschichte. das ist es, was wir daraus gemacht haben, das ist es, worin unser leben seinen stärksten niederschlag findet. die kulturlandschaft ist in hoherem maße, als es gebäude oder denkmäler sind, zeugnis unserer menschlichen entwicklung. natur gibt es in ihr in den niederländen bestenfalls noch marginal. aber diese natürlichen, halb - natürlichen oder bruchteil - natürlichen landschaftsbestandteile sind so wichtig für den erhalt unserer lebens- und erfahrungsgrundlagen, daß jede schmälerung einen verlust bedeutet.
flurnamen geben uns bedeutungen aus der geschichte der landschaft. namen mit den bestandteilen biber-, otter-, dachs- deuten auf das vorkommen dieser tiere in einer landschaft. wir können daraus die verbreitung solcher spezies ablesen, die durch den menschen, durch seine kultur und kultivierung verdrängt oder als konkurrenten ausgerottet wurden.
zoelen (suhlen) deutet auf das schlammbad der wildschweine. in der landschaft betuwe (in der der ort zoelen liegt) gibt es keine wildschweine mehr.
in deutschland deuten namen wie greuth, gereuth, roth, rot u.s.w. auf den vorgang des kultivierens: diese namen hängen zusammen mit dem roden, dem entwurzeln, dem ende des waldes.
in die natur, in eine naturlandschaft dürfen wir nicht mehr eingreifen, es sei denn, um sie vor einflüssen von außen zu schützen (das ist dann wieder kultur).
kunst in der natur ist völlig überflüssig! natur ist sich selbst genug und muß auch uns genug sein - mit kunst können wir die natur weder bereichern noch verbessern.
in eine kulturlandschaft darf man eingreifen, aber der charakter alter, gewachsener kulturlandchaften muß dabei respektiert werden. kunst in der landschaft kann heute nur funktionieren, wenn sie sich mit dieser landschaft zu einem zusammengehörigen ganzen vereinigt. so wie in der bildenden kunst, etwa in der malerei eines jackson pollock, die zentralperspektive abgeschafft wurde, um einem demokratischen bildverständnis platz zu machen, in dem alle bestandteile ihren eigenen, gleichen wert haben, ist das beherrschende monument, das den blick zentral auf sich zieht, heute nicht mehr zeitgemäß. wir haben keinen bedarf mehr an hierarchien.
je mehr die landschaft gestört ist, desto mehr kann sie kunst gebrauchen. die landschaft heilen.
alte, in jahrhunderten entstandene und noch bestehende kulturlandschaften müssen geschützt werden. so verdienen die ackerfluren von weerselo schutz als kulturdenkmal. die bauern dort sind bewahrer ihrer eigenen geschichte. kunst, die hier eingreift, darf kein sonderbares hindernis für das auge sein, sondern muß den zusammenhang suchen.
polder, heide, ackerfluren, flußauen, entenfangteiche sind einige beispiele für kulturlandschaften, die schon aus historischem verständnis für unsere erfahrung als kulturvolk von bedeutung sind. unsere aufgabe ist es, unser heutiges leben damit und mit der natur in einklang zu bringen, die landschaft nicht nach kurzfristigen bedürfnissen zu organisieren, sondern mit bewußtsein. so kann landschaftsplanung zu kunst werden. der sogenannte gutshof nimmt dabei eine besondere stellung ein.
in einer kulturlandschaft wieder natürliche bestandteile zu entwickeln, ist für mich eine künstlerische tat, denn kunst kommt von können und hängt mit bewußtsein und bewußtwerden zusammen.
kunst in den weeribben? ich kenne diese landschaft nicht. daß es ursprünglich kultur war, die sie geschaffen hat, muß nicht heißen, daß die natur, die die landschaft jetzt übernommen hat, durch kunst verbessert werden kann! damit müssen wir sehr vorsichtig sein, sonst werden wir kitsch produzieren. meine persönlichen beiträge auf diesem gebiet bestehen im abgrenzen von 'sanctuaria', die für den menschen nicht zugänglich sind, auch nicht für die wissenschaft. räume, die respektierung verlangen, auch als beiträge zu einer notwendigen ästhetik, als aktuelle poesie. oder zum beispiel in entwürfen für pfade, von denen aus bestimmte landschaften oder naturgebiete erfahrbar gemacht werden. möglicherweise ein denkmal, aber doch lieber in form eines lebenden baumes.
source: herman de vries, 'die form der landschaft ist ein zeugnis unserer kultur', in herman de vries. to be : texte - textarbeiten - textbilder (Stuttgart 1995) 166-170. Translation of 'de vorm van het landschap getuigt van onze kultuur', text for the symposium De natuurlijke verbeelding, Universiteit Twente, May 28, 1993. Reprinted in German and Danish in exhibition catalogue Trilogi/Kunst-natur-videnskab. Trilogy/Art-nature-science (Kunsthallen Brandts Klaedefabrik etc. : Odense 1996) 134-139 (ill.). Translated in French in herman de vries (Anthèse : Arcueil 2000) 16-17.