der mittelmeerraum war früher mit wald bedeckt (1986)
der mittelmeerraum war früher mit wald bedeckt. pinien, wacholder und zypressen und ein dichter unterwuchs von duftenden sträuchern und darunter viele kräuter. in kriegen und für brennmaterial wurde abgeholzt. für begrasung wurde abgebrannt, und nochmals abgebrannt. dann fraßen die ziegen und schafe die letzten in der asche wachsenden kräuter weg und übrig blieb eine steppe. eine steppe, deren ursprung menschliche ignoranz und habgier war. eine religion ohne verbindung zur wirklichkeit, ein leben ohne bewußtes sein, war der verursacher. die steppe wurde wieder niedergebrannt und in einer einstmals reich spendenden natur gab es nur noch wenig nahrung für zu viele herden. die steppe wurde eine halbwüste mit nur noch wenigen pflanzen, mit dazwischen einem halbstrauch mit schönen weißen blüten, gefüllt mit geistbewegenden substanzen! wie sinnvoll: eine letzte chance, die die natur uns anbietet: am ende eines langen prozesses der vernichtung durch ignoranz - eine pflanze, die unseren geist wieder öffnen kann!
immer und überall werden uns solche chancen geboten. die entwicklung der menschlichen gesellschaft ist inzwischen in eine andere richtung gelaufen. konsum ist das hauptwort. konsum schafft arbeitsplätze. konsum ist die große sucht. in einer konsumgesellschaft wird alles zu konsumwerten degradiert. verständlich, daß die heiligen pflanzen, die uns letzte chancen zur änderung bieten und unseren geist öffnen sollten, da ungewünscht sind, weil sie der habgier entgegen laufen! hier muß unsere pervertierte haltung zur natur sich ändern - den politischen raum dazu sehe ich im augenblick nicht. unsere kultur ist eine politische. die rolle der kunst als bewußtseinsentwickelnd ist überlagert von bürgerlicher konsumvorstellung der 'schönen künste'. über dem eingang der alten oper in frankfurt steht ganz ehrlich verlogen 'dem wahren, schönen, guten'.
kunst hat mit bewußt-sein und bewußt-werden zu tun. es hat auch zu tun damit, was wir von unserem leben, was wir von der wirklichkeit machen. (ein vergifteter rhein ist tödlicher kitsch.)
'in revolution, politics become[s] nature', sagt ein steintext von ian hamilton finlay. 'in politics nature becomes revolution', möchte ich daran zufügen, aus ernster sozialer überlegung möchte ich darum auch sagen, daß ich der meinung bin, daß das, was die natur uns als möglichkeiten zur verfügung hält, uns zu erprobung und gebrauch als existentielles grundrecht zusteht.
da, wo kunst und natur als gefahr für die gesellschaft dargesteilt werden, da stehe ich und fördere freiheit.
eschenau 12.11.1986
source: herman de vries, '[der mittelmeerraum war früher mit wald bedeckt ...]', in catalogue Kultur/Natur (Volkshochschule : Wuppertal 1986) 58-59 (ill.). Reprinted in to be : texte - textarbeiten - textbilder (Stuttgart 1995) 140-141.